Putin hat in seiner jüngsten Rede an die Nation die Russen mit der Mobilmachung geschockt, aber auch das böse Ausland nicht vergessen und wieder einmal mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Es ist nicht das erste Mal in diesem Krieg, dass der Kremlchef die Angst vor der Apokalypse schürt, diesmal hat er jedoch seine Bedingungen verschärft. Das Horrorszenario, der Einsatz von Atomwaffen, ist noch realer geworden - das Risiko gestiegen.
Die Lage ist ernst. Denn leider gibt es tatsächlich starke Argumente dafür, das nukleare Säbelrasseln in Moskau ernst zu nehmen, statt es als Angstmacherei abzutun. Putin hat sich öffentlich radikal positioniert und die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt. Zu Beginn des Krieges dienten seine Drohungen noch dazu, die Nato-Staaten davon abzuhalten, mit eigenen Truppen in den Konflikt einzugreifen. Und es gibt Hinweise darauf, dass die Lieferung schwerer westlicher Offensivwaffen – zum Beispiel der deutschen Leopard-Kampfpanzer – eine weitere rote Linie darstellt, die Putin mit Nachdruck gezogen hat. Beide Forderungen hat der Westen respektiert und sie zugleich geschickt unterlaufen: mit Handelskrieg statt offenem Krieg, mit massiver militärischer Unterstützung ohne Entsendung von Soldaten, mit hochmodernen Haubitzen statt Leoparden.
Seine neue rote Linie hat Putin jedoch viel aggressiver gezogen:
Jetzt soll der Einsatz von Atomwaffen schon infrage kommen, sobald die "territoriale Integrität" Russlands bedroht ist. Das schließt die besetzten Gebiete in der Ukraine ein, die Putin seinem Reich noch in dieser Woche einverleiben will. Wenn Selenskyjs Soldaten wieder ein Durchmarsch wie gerade bei Charkiw gelingt, behält sich Putin eine nukleare Antwort vor. Der Einsatz der ultimativen Waffe ist damit sehr konkret und zeitnah in den Bereich des Möglichen gerückt.
Besetzen, annektieren, atomar abschrecken:
Glaubt Putin wirklich, dass er damit durchkommt? Kann man das für voll nehmen? Man kann dieses Manöver als plump und verblendet interpretieren, als gewaltigen Fehler – oder als riskanten, aber absichtlichen Schachzug. Sicher ist: Der Zocker in Moskau hat sich selbst in die Ecke manövriert. Sobald er das umkämpfte Gebiet zu russischem Territorium erklärt, ist eine Rückgabe ausgeschlossen, und eine ukrainische Rückeroberung würde ihn politisch erledigen. Putin hat öffentlich geschworen, dieses Land mit allen, wirklich allen Mitteln zu verteidigen. Er droht mit Atomwaffen und hat sich kein Hintertürchen offengelassen. Das kann dumm sein – oder eine sehr, sehr riskante Strategie, um die Glaubwürdigkeit seiner Worte zu erhöhen. So oder so kommt man nicht darum herum, die Drohung ernst zu nehmen.